Die Sonne scheint und wie tanzender Nebel steigt der Dampf aus meiner Tasse Tee. Ich kuschle mich etwas tiefer in unsere schöne, peruanische Decke und blinzle ins Morgenlicht. Vögel zwitschern, in der Ferne hört man leise den regen Wochentagsverkehr und noch weiter weg schmiegt sich die dunkle, geschwungene Silhouette des Schwarzwalds an den Stadtrand.
Ich bin zuhause.
Es ist so schön, so bewegend, so anders und so vertraut. Es ist komisch und aufregend und neu und alt. Es ist kalt, warm, ruhig, chaotisch, aber vor allem: voller Liebe.
493 Tage, nachdem wir am Flughafen Tegel in Berlin den ersten Flieger und damit unser neues Leben betraten, kehren wir wieder zurück in die Heimat. Freiburg. Der Kalender zeigt den 8. Februar 2019, die biologische Uhr drei Tage vor meinem zwanzigsten Geburtstag und das Herz überquellende Freude für all die geliebten Menschen. Es ist genau der richtige Zeitpunkt.
Unsere letzten Tage in Peru
Chicama, Peru. 48 Tage vor Abflug.
Keiner Zuhause weiß Bescheid. Vielleicht ist es das erste Mal auf der Weltreise, dass wir eine wichtige Entscheidung treffen, und unseren Familien nichts davon erzählen. Wir wissen schon länger, dass Peru unser letzter Stopp sein wird. Wir sehnen uns danach, unsere Familien und Freunde wiederzusehen und sogar der Winter lockt uns mit seiner so exotisch gewordenen Kälte.
Am 21. Dezember buchen wir in Chicama den Flug von Lima nach München. Und nicht nur ist unsere Heimkehr damit etwas mehr ins Realistische gerückt, auch hat unsere Open-End-Weltreise jetzt ganz klar ein Ablaufdatum. Die Gefühle sind gemischt, aber spätestens nach dem tränenreichen Skypegespräch am Heiligabend siegt dann doch die Vorfreude.
San Bartolo, Peru. 14 Tage vor Abflug.
Die letzten zwei Wochen verbringen wir in San Bartolo, unserem geliebten Surferort nahe Lima. Wir surfen jeden Tag, treffen Toño täglich und Carola am Wochenende. Jede Sekunde im Salzwasser und unter der peruanischen Sonne wird genossen und wir essen noch einmal alles, was wir Zuhause so nicht mehr bekommen werden. So besteht unsere Ernährung hauptsächlich aus Mangos, Papayas, Avocados, Quinoa, peruanischem Milchreis und allem, was man hier eben so auf dem Markt bekommt. Die offensichtliche Vergänglichkeit dieser Zeit jagt uns Angst ein, lässt uns aber jeden Moment bis ins Unermessliche schätzen.
Lima, Peru. 3 Tage vor Abflug.
Wir gehen ein letztes Mal morgens surfen. Ich versuche, mir jeden Moment ganz einzuprägen. Das Gefühl, die ersten Schritte ins Wasser zu gehen, die Kälte zu spüren und dann aufs Brett zu springen und loszupaddeln. Die Energie, die die Arme bei jedem Paddelzug auf das Wasser ausüben, den Blick auf die Spitze des Bretts, die dabei aus dem Wasser ragt von kleinen Wellen umspült wird. Das Gefühl, zwischen den Sets im Wasser zu sitzen, die Beine ins dunkle Nass baumeln zu lassen, den Blick ruhig auf den Horizont gerichtet.
Den unvergleichlichen Moment, wenn man sich in eine Welle hineinstürzt, an der fließenden Wand aufs Brett springt und mit ihr zu tanzen beginnt. Und dann die Schwerelosigkeit des Augenblicks, wenn man am Ende der Welle über die Schulter schießt, kurz durch die Luft schwebt und mit einem Klatsch wieder auf dem nassen Boden der Tatschen landet.
Voller Glück. Voll im Moment. Unbezahlbar.
Danach packen, der erste tränenreiche Abschied von Toño und die Rückkehr nach Lima. Zwei letzte Tage, in denen sich der Abschiedsschmerz immer wieder meldet und die Aufregung steigt und steigt.
Heimkehr
Wir tun ruhig, aber in uns brodelt es. Jeder weiß genau, wie der andere sich fühlt, und das ist auch gut – beschreiben kann man das kaum. Richtig realisieren können wir es immer noch nicht. Unsere Gefühle fahren Achterbahn, so viel ist dabei.
Wird die Überraschung klappen? Wird auf der Heimreise alles glatt gehen? Stell dir mal vor, wir verpassen jetzt einen Flug… Wie wird es sein, zurückzukommen? Werden wir das Meer vermissen? Wie krass wird der Kulturschock? Wie sehr haben wir uns verändert, vielleicht auch von anderen Menschen weg? Ist zuhause wirklich alles so (toll), wie wir es in Erinnerung haben? Wie wird es sein, erstmal wieder getrennt zu leben? Tausende Fragen ohne Antworten liegen in der Luft und lähmen uns fast.
Alles geschieht automatisch. Ein letztes Mal die Backpacks packen. Ein letztes Mal von Carola verabschieden. Ein letztes Mal durch Lima zum Supermarkt laufen. Ein letztes Mal Taxi fahren. Ein letztes Mal durch die großen Schiebetüren eines internationalen Flughafens verschwinden.
Wir halten uns an den Händen, ich weine ohne Ende. Trauere um Peru, die Menschen, die Wellen. Unsere Reise. Alles. Voller Liebe aber, weil ich mich auch unfassbar auf Zuhause freue.
Ankommen
Unser Flug geht über Bogotá nach München. An jedem Flughafen gibt es Schokolade zu probieren, mega. Die Zeit vergeht schnell, schlafen tun wir kaum. Realisieren, was wir gerade tun, aber auch nicht. Erst als wir nur noch zwei Stunden bis zur Landung haben, fangen wir langsam an, durchzudrehen.
Wir nähern uns dem so vertrauten Land. Die Sonne strahlt, alles ist schneebedeckt und in der Ferne türmen sich majestätisch die Alpen auf. Es ist so wunderschön! Die ganze Szenerie verstrahlt einen solchen Frieden, dass wir davon angesteckt und ganz freudig ruhig werden.
Touchdown. Wir sind da.
Sicher gelandet in Deutschland. Zufällig kommen wir ins Gespräch mit Karin, eine junge Peruanerin aus Cusco, die hier Freunde besucht. Es ist unglaublich, sagt sie immer wieder, wie ihr strahlt! Es macht einen richtig glücklich, euch anzusehen!
Die Überraschung
Adris Eltern wurden inzwischen doch eingeweiht und sein Papa kommt uns abholen. Lange Umarmungen, großes Strahlen in den Gesichtern und die erste Brezel. Der lange Weg nach Hause über die Deutsche Autobahn in wahnwitzigem Tempo (140 km/h), dann kommt meine langersehnte Überraschung.
Mein Bruder ist eingeweiht und wir fädeln ein, dass er mit meinen Eltern unseren Überraschungsvlog schaut – während wir schon in der Dunkelheit vor dem Fenster lauern. Dann ist es soweit. Unserem Aufruf folgend kommen sie zur Tür, ich höre die Stimme meiner Mutter: „Die sind doch jetzt nicht hier.“ Da geht das Licht an, ich springe aus dem Schatten und alles vermischt sich zu einem riesigen Knäul von Liebe und wilden Emotionen.
Mein Bruder grinst stolz, meine Mama kriegt keine Luft mehr vor lauter Schluchzen und meinem Papa hat es die Sprache verschlagen, er strahlt überglücklich. Wir liegen uns in den Armen, ein zitternder, lachender, weinender, emotionaler Haufen unendlicher Liebe. Als der erste Schock überwunden ist, gibt es noch ein großes Wiedersehen mit Adri.
Dann wird es Zeit für uns, uns zu trennen. Zum Glück sind wir beide noch so hin und weg, dass wir es gar nicht richtig realisieren. Zuhause. Familie. Zuhause. Meine Mama hört die ganze Nacht nicht mehr auf zu weinen.
Unser altes, neues Leben
Abgesehen davon, dass meine Mama immer wieder spontan nach mir guckt, um zu sehen, ob ich wirklich noch da bin, ist alles erstaunlich normal. Es fühlt sich so normal an, wieder hier zu sein. So unaufregend. So vertraut. Als wäre man nie weggewesen?
Doch. Wir waren weg. Nicht lang genug, als dass uns unsere Heimat fremd geworden wäre, aber lange genug, dass wir uns deutlich verändert haben. Zuhause ist nichts anders, aber wir sind anders. Es ist das gleiche Leben wie unser altes, vor der Weltreise. Und doch komplett neu. Die Umgebung ist die Gleiche wie früher, aber wir sind verändert – und damit auch unser Leben.
Die ersten Tage, ja Wochen, fühlen sich fast noch exotisch an. Wir sind fasziniert von der kalten Luft (auch wenn alle Deutschen es gerade sehr warm finden) und dem Winter, der erste Gang zum Supermarkt ist ein Erlebnis. Ich bummle überglücklich durch unseren Bioladen und genieße einfach diese Auswahl an all diesen Dingen, die ich so liebe – und die es so nirgends anders auf der Welt gab.
Die Begegnungen, die ich mache, quellen nur so über vor Liebe. Meine besten Freundinnen und Seelenverwandten wieder zu sehen, erfüllt mich mit so viel Glück. Aber abgesehen davon meide ich die meisten Treffen noch. Ich will für mich sein, nicht in einem halbherzigen Satz nicht-wirklich-interessierten Personen erzählen, wie es war.
Will Zeit mit Adri verbringen, der auch wieder bei sich zuhause wohnt. Dass wir jetzt zwei Leben haben und nicht mehr ein gemeinsames, fühlt sich extrem komisch an. Auch, dass wir uns wieder verabreden müssen, um uns zu sehen, nicht mehr automatisch zusammen sind und unser gesamtes Leben miteinander teilen…
Richtig Ankommen
Es gibt ein paar Schwierigkeiten. Dass wir beide nicht mehr ans Familienleben gewöhnt sind sorgt beinahe für Stress zuhause. Dass die Deutschen so stressig und verschlossen sind, nervt bei jedem Einkauf. Dass wir uns gegenseitig beieinander besuchen müssen, ist einfach komisch. Dass alles so grau hier ist und die Natur manchmal so weit weg scheint, macht uns manchmal traurig.
Aber es gibt auch unendlich viele Möglichkeiten und schöne Dinge.
Ich habe endlich einen Ort, wo ich eine schöne Morgenroutine entwickeln kann. So fängt jeder Tag mit Tee und Ruhe an, Yoga, entspanntem, liebevollem Frühstück und in der Sonne sitzen. Ich sehe das geliebte Pferd wieder und mache lange Ausritte im Schwarzwald. Verbringe viel Zeit mit meiner Familie und mir selbst. Gebe einfach Ruhe und genieße es, dass ich nirgends hin muss, nichts erreichen, nichts organisieren; einfach sein kann. Zuhause.
Trotzdem ist uns klar geworden: es gibt nicht mehr nur einen Platz, der für uns Zuhause ist. Da sind jetzt noch andere Orte, wo wir ein Stück unseres Herzens gelassen haben, Orte, die unsere Seele berührt haben und wo wir angekommen sind. In Perth zum Beispiel, und San Bartolo. Und in uns – in dem Gefühl, zusammen zu sein.
Freiburg ist aber unsere Heimat und wird damit immer von ganz besonderer Bedeutung für uns bleiben.
Wir leben uns ein, finden wieder Jobs, suchen neue Hobbys und entwickeln uns weiter. Träumen viel und wagen es, unsere Träume einfach wahr werden zu lassen. Wir haben so viel gelernt auf dieser Reise, die eigentlich gerade erst angefangen hat. Das wollen wir nie wieder verlieren.
Blick zurück
493 Tage Weltreise. Mehr als 16 Monate unterwegs. 9 Länder und unendlich viele neue Eindrücke.
Das erste Mal komplett asiatisches Chaos in Thailand, Stopover in Singapur, Bali. Surfen lernen, Roller fahren und Nasi Campur entdecken. Dann nach Australien und das Herz in Perth von der ersten Sekunde an komplett verloren. Arbeiten, Fernbeziehung und Leben im Auto. Endlose Weite, die schönsten Strände der Welt, Tasmaniens unfassbare Schönheit und die Arbeit auf dem Weingut. Kreuz und quer durchs Outback und dann die Ostküste runter, unser erstes, eigenes Zuhause wieder loslassen und zurück nach Bali. Surfleben und Inselzauber pur, ganz im Gegenteil zu Sri Lanka. Tourismus und Krankheiten zwischen Traumstränden und schönen Wellen, Übersättigung von Palmen und Paradies. Komplette Kehrtwende und spontane Liebe in Seoul, Fast-Zusammenbruch in San Francisco und Ankommen in Peru. Die krassesten Lektionen und schönsten Wellen und überhaupt.
Selbstliebe, Nachhaltigkeit, Selbstbestimmtheit, Weltoffenheit. Freiheit, Neugier, Minimalismus und endlose Begeisterung für die Natur. Lernen vom Leben, wachsen an Herausforderungen, wundervolle Begegnungen und einfach man selbst sein. Unabhängigkeit, Verantwortung, die kleinsten Dinge lieben und schätzen lernen. Kreativität, Spiritualität, Balance. Erfüllung, Freude und Leichtigkeit, bedingungslose Liebe, Ehrlichkeit, Begeisterungsfähigkeit.
Diese Reise hat uns so viel gegeben. Sie wird immer in Teil für uns bleiben.
Blick in die Zukunft
Man kommt natürlich nicht um die Frage herum: Was kommt jetzt? Wie geht’s weiter?
Um den guten, deutschen, zukunftsorientierten Drang hier zu befriedigen: Wir werden studieren, arbeiten, Kinder kriegen und ein Haus bauen.
Um den Weltenbummler in uns zu befriedigen, folgende Relativierung: jetzt werden wir erstmal ein halbes Jahr arbeiten und unseren Herzen folgen, dann im Herbst beginnen, etwas zu studieren, was uns brennend interessiert. Wenn sich der Weg unterwegs ändert, werden wir ihm folgen und uns nicht scheuen, spontan einen anderen zu gehen.
Unsere Kinder werden unzählige wundervolle Dinge sein, die wir gemeinsam erschaffen. Mein erstes ist dieser Blog. Das nächste noch eine Überraschung. Und irgendwann vielleicht echte, wundervolle Menschen. Aber alles zu seiner Zeit bitte. 😀
Oh, und das Haus? Das hat eventuell Räder und nur einen Raum. Dafür ist es unseres und geht mit uns an jeden Ort, den wir wollen. Ein richtiges Zuhause.
Und zu guter Letzt, um das ständig wahrheitssuchende, höhere Ich zu befriedigen: wir werden nicht mehr aufhören, selbstbestimmt zu leben. Unseren Herzen zu folgen, unsere Träume Wirklichkeit werden zu lassen. Die Natur zu bewundern und zu schützen und die kleinen Dinge und wertvollen Momente zu lieben. Bedingungslos zu lieben und zu leben, persönlich zu wachsen immer weiter zu lernen. In der Uni, aus Büchern, von Menschen, vom Leben.
Das ist der wahre Spirit of Traveling.
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Danke, dass ich das mit dir teilen durfte. Bist du auch schon einmal von einer langen Reise heimgekommen? Wie war das für dich? Das würde mich wahnsinnig interessieren! 🙂
Namasté & bis zum nächsten Mal,
Unser Heimkehr-Video auf YouTube
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2 Comments
Leni
1. April 2019 at 4:40Hallo Hannah, ich habe gerade deinen blogeintrag über das nach Hause kommen gelesen und musste die ganze Zeit so weinen. Du hast alles so unglaublich schön und ehrlich geschrieben. In gut 3 Wochen bin ich auch wieder zu Hause. Ein komisches Gefühl. Irgendwie schön, aber noch will ich gar nicht wahr haben, dass mein Traum dann vorbei ist. An deine Worte werde ich die nächste Zeit oft denken. Liebe Grüße, Leni! ☺️
Hannah
23. April 2019 at 18:04Liebe Leni, vielen lieben Dank für deine Worte. Wie schön auch, dass meine dich so erreicht haben! Ich kann dich total gut verstehen! Wir Habens auch erst bei der Landung geblickt, dass wir wieder da sind 😀 Nach dem Traum werden weitere kommen, die zu leben es sich lohnt! ❤️ Ich wünsche dir alles gute für die letzten Tage und die Heimkehr. Alles Liebe, Hannah