Meterhohe Wellen, die zerbersten, die brüllen und fauchen und gleichzeitig so anmutig und wunderschön sind — die Verkörperung von Vergänglichkeit. Jede Sekunde einzigartig und anmutig, zerfließt und wird nie zurückkommen. Es hat etwas an sich, das die Gedanken zum Schweigen bringt. Mein Blick ruht auf der Wildnis, der Bewegung, der puren, sich entladenden Energie und alles in mir wird ruhig. Stundenlang. Bis die Beine einschlafen oder der Po wehtut. Dann laufe ich kurz durch den Sand oder über die warmen, sandigen Steine und suche mir einen neuen Ort zum Sitzen.
Ich bin angekommen.
Mit dem VW-Bus. Im Südwestfrankreich am Atlantik. Im Februar. Alleine.
Zum ersten Mal alleine auf Reisen
Mein Entschluss, diese Reise nach Hossegor alleine zu machen, festigte sich irgendwo zwischen Adrians spontaner Zusage für ein Praktikum (was unsere gemeinsamen Reisepläne durcheinanderbrachte), dem unbändigen Wunsch, am Meer zu sein und dem Kitzel, zum ersten Mal in meinem Leben ganz alleine unterwegs zusein. Ich packte massig Bücher, Decken, Kissen und einen Schlafsack in den Van, stockte meinen Vorrat an Schokolade, Tee und Keksen auf und füllte literweise Wasser in Kanister und Flaschen — denn um diese Jahreszeit würden keine Campingplätze offen haben, ich war also auf mich gestellt. Wildcampen am Meer, so habe ich mir das vorgestellt. Stundenlang lesen, am Strand sitzen und den Surfern zuschauen, Fotos machen und kochen. Menschen treffen und mich ganz auf mich selbst einlassen. Doch wie das so ist, mit den Vorstellungen und der Realität, kam es zwar zum Teil so — aber zum Teil auch ganz anders.
Der Strandurlaub will verdient sein
Die erste Hürde und das, was mich beinahe davon abgehalten hätte, diese Reise durchzuziehen, war die Fahrt. Über tausend Kilometer in einem lauten, langsamen VW-Bus zu fahren und das ganz alleine — ich konnte mir Attraktiveres vorstellen. Ich bin gerne im Auto unterwegs. Es macht mir Spaß zu fahren und ich liebe Roadtrips mit Adrian, wo er die meiste Zeit fährt oder wir uns abwechseln, sodass sich immer einer ausruhen kann. Wo wir quatschen können, Musik hören und die Begeisterung über die Landschaft oder den Ärger über den nervigen Lastwagenfahrer oder die bescheuerte Verkehrsregelung teilen können. Bei denen ich Navigator, DJ und Catering in einem bin. Aber alleine lag das alles wie ein zäher, öder, anstrengender Haufen vor mir.
Ich teilte mir die Fahrt auf zwei Tage auf, legte mir eine Strecke zurecht und ließ mich von meinem Handy navigieren. Hach, wie langweilig einfach manche Dinge heutzutage sind. Ich fuhr und fuhr. Mittags machte ich eine ausgiebige Pause im Grünen, wo ich in der warmen Sonne mein erstes Landbaguette verputzte und landete spät abends auf dem Parkplatz eines riesigen Einkaufszentrums, das ich in meiner Campingapp entdeckt hatte. Drei Stunden bis Hossegor, aber ich war so fix und fertig und meine Konzentration so bis aufs Letzte aufgebraucht, dass es leichtsinnig für mich und alle anderen Verkehrsteilnehmer gewesen wäre, die Strecke noch durchzufahren.
Die Nacht war die schlimmste, die ich je im Van erlebt habe.
Ich zog noch um auf einen belebteren Parkplatz in einem kleinen Ort, weil ich mich alleine auf dem riesigen Platz des Einkaufszentrums so unwohl fühlte. Dieser war vollgeparkt mit anderen Autos und Lieferwägen, sodass ich kaum auffiel. Im Laufe des Abends fuhren diese jedoch nach und nach alle weg. Betrunkene klopfen gegen den Bus, ich erfror beinahe trotz der zwei Decken und dem Schlafsack und wurde um fünf Uhr morgens von einem Klappern aus meinem leichten, unruhigen Schlaf geweckt: es war Samstag und Menschen fingen an, die Marktstände auf dem großen Platz aufzubauen. Ich war das einzige Auto, was da noch stand. Es war stockdunkel und meine Scheiben alle gefroren. An Schlaf nicht mehr zu denken.
In Schlafsachen und weiterhin in meine Decke gewickelt, kratzte ich die Scheibe frei, ließ die Heizung anlaufen und machte mich auf den Weg. Ich fuhr eine Stunde in der Dunkelheit über herrlich leere Schnellstraßen. Im Tagesanbruch erreichte ich die Ringautobahn um Bordeaux, wo mich ein provokanter LKW beinahe von der Straße rammte und zum Sonnenaufgang war ich bereits im Département des Landes. Umgeben von Pienenwäldern, Sand und dem Gefühl von Meer in der Luft.
Ich hielt auf einem Rastplatz, brach in Tränen aus und heulte und heulte erstmal, während all die Angst, der Druck, das Unwohlsein, die Anspannung und Müdigkeit von mir abließ. Danach ging es mir schon deutlich besser. Die Sonne wärmte mein Gesicht und mein Herz und als ich dann von der Autobahn abbog, um die restliche Strecke bis zum Ziel meiner Träume durch verträumte Pinienwälder im Morgendunst zurückzulegen, frohlockte in mir schon wieder alles. Ich war da, ich war hier.
Ich hielt an, sog den Geruch der Pinien und die salzige Luft tief ein und wusste: es ist alles gut.
Ankommen – Vanlife in Hossegor
In Hossegor ging es dann schnell zum Lieblingsbäcker, ein frisches Brot und Pain au Chocolat kaufen, dicke Tomaten auf dem Markt besorgen und ab ans Meer! Nie war ich so glücklich, anzukommen. Ich parkte den Bus so nah am Meer wie möglich, stieg aus, setzte mich auf die Mauer und war sofort hingerissen von den Wellen. Die Begeisterung darüber, dass sie noch viel kräftiger und größer waren, als angenommen, brodelte in mir auf. Ich hätte jauchzen, schreien und tanzen können vor Glück. Oh Hossegor, du schaffst es immer wieder.
Die Sonne ist warm, der Wind eisig, ich fröstele, aber bewege mich dennoch nicht. Die meterhohen Wände aus Wasser ziehen mich in ihren Bann, jedes Mal wieder ein Wunder. Respekt vor der zerstörerischen Kraft vereint sich mit Bewunderung ihrer unaufhaltsamen Bewegung und vergänglichen Schönheit. Alle Menschen um mich herum teilen diese Faszination, kommen her, stundenlang, nur um dem Ozean zuzusehen. Manche lassen sich auf das Spiel ein, tollen in den Wellen, erleben Adenalinstöße und die Kraft der Naturgewalt, berauschend oder zerberstend.
Boards, Leashes, Körper und auch der ein oder andere Stolz und Mut werden im Schlund des Monsters gebrochen, Helden geboren, dem Leben einen Sinn gegeben. Und alle verstehen es, feiern es, leben es. Ich mag diesen Ort, fühle mich so wohl.
Surfen in Hossegor im Winter
Ich muss eines klarstellen: ich bin nicht hier zum surfen; habe meinen Neoprenanzug und mein Board nicht mal mitgenommen. Ich meine, ich habe den Forecast gesehen. Seit Jahren lokale Surffotografen im Winter verfolgt und beobachte die Ausstattung derer, die hier ins Wasser gehen: dicke Neoprenanzüge, Booties, Handschuhe, Kapuzen. Lange Boards für große, heftige Wellen. Schutzanzüge, Rückenprotektoren, Sichrheitswesten. Hossegor im Winter — das ist absolut nichts, was meinem gediegenen Sommersurf-Level entspricht. Aber da macht nichts, ich finde es nicht einmal schade, hier nicht surfen zu können. Ich bin überglücklich mit meinem Platz auf dem Mäuerchen. Von hier kann ich den ganzen Strand und Surfspot überblicken und mich einfach der Schönheit und Kraft dieses Schauspiels hingeben.
Ich fotografiere wann ich will, wo ich will und solange ich will. Meine Arme werden schwer, meine Beine schlafen ein, mein Po wird kalt. Aber ich muss mich nach niemandem richten, auf keine anderen Bedürfnisse acht geben, kann einfach tun was ich will.
Drei Tage lang, bevor der Regen kommt. Ich bekomme einen Sonnenbrand, das Auto und meine Haut sind von einer Salzschicht überzogen, meine Speicherkarte wird immer voller und mein Kopf immer leerer. Ich sitze da, stundenlang, schaue dem Meer zu. Koche sitzend auf dem Boden von meinem Van, mit Blick aufs Meer oder den See, lese Abends im Schein meiner Lichterkette oder schaue mit meinem Couchsurfing-Host Dokus über seine 20-Meter-Wellen in Nazaré. Er ist leidenschaftlicher Surfer und Jetskifahrer in großen Wellen, born and raised in Hossegor und der heftige Winterswell ist für ihn Routine.
Einsam in Gesellschaft oder alleine frei?
Die Begegnung ist voller Freundlichkeit und so interessant, aber seine Kommunikation unzuverlässig und unklar. So finde ich mich ständig wartend — auf eine Reaktion, eine Antwort, ein Statement. Und merke, dass ich mich mehr alleine fühle, als wenn ich wirklich allein bin. Es ist diese Abhängigkeit von einer anderen Person, das Warten, das Erwarten, auf das man keinen Einfluss hat, wodurch ich mich leerer fühle, einsamer, zurückgewiesener, alleingelassener, als ohne diese Gesellschaft. Also verlasse ich Hossegor nach dem dritten spontan abgesagten Plan und fahre nach Biarritz. Zum nächsten Couchsurfer, denn offenbar habe ich noch nichts gelernt.
Regentage in Biarritz
Jonathan lebt in einem wunderschönen Haus auf den Klippen von Biarritz. Laut seinem Couchsurfing-Profil ist er pensionierter Profisurfer. Wie viel davon stimmt, zweifle ich im Laufe des Abends immer mehr an. Er ist sehr welt- und lebenserfahren, hat die verrücktesten Geschichten erlebt und es ist spannend, ihm zuzuhören und zu lernen. Und gleichzeitig unglaublich angstrengend.
Er ist das komplette Gegenprogramm zu meinem vorherigen Couchsurfer: ab der Sekunde, wo ich sein Haus betrete, redet er mich voll und wir, oder viel mehr er, reden und reden bis zum Abendessen. Und dann weiter. Als studierter Psychologe, Philosoph und Sportwissenschaftler hat er eine einnehmende Art zu reden, die keinen Raum zum Atmen lässt und kaum Platz für andere Ansichten bereithält. Irgendwann gebe ich es auf, fix und fertig, und entschuldige mich, sobald ich kann, um mich in den Van zurückzuziehen. Schräger Vogel. Leeeider, leider kann ich doch nicht so lange bei ihm bleiben wie ursprünglich geplant, da er einen Familiennotfall hat. So flüchte ich frühmorgens mit meinem Bus zurück in die Einsamkeit.
Ruhe. Endlich.
Einatmen, ausatmen, aufs Meer gucken. Puh.
Das Wetter meint es nicht mehr gut, seit Gestern morgen regnet es fast ununterbrochen. Ich verbringe dennoch zwei Tage in Biarritz, denn überall in der Umgebung ist das Wetter genauso. Ein paar kurze Zeitfester gibt es, wo der Regen stoppt und sogar die Sonne kurz herauskommt. Ich nutze sie, um wieder mit meiner Kamera loszuziehen, auf dem Markt frisches Obst und Gemüse zu kaufen und einfach durch die Stadt zu spazieren. Biarritz ist schön und muss im Frühling oder Sommer — mit etwas mehr Grün, Sonne und Leben — ein traumhafter Ort sein. Ich gehe ins öffentliche Schwimmbad um heiß zu duschen (woraufhin ich tagelang meine Handtücher nicht mehr trocken kriege, tolle Idee auch) und kaufe mir zwei Zeitschriften, um mein französisch zu üben. Den Rest der Zeit sitze ich in meinem Bett, mit Blick aufs Meer, Tee und Keksen. Meine Wärmflasche rettet mich in diesen Tagen.
Die Reise geht weiter
So gemütlich das ist, nach zwei Tagen wird es ziemlich langweilig und ich mache mich auf, weiter ins Baskenland, nach Guéthary und Saint-Jean-de-Luz. Wo ich mich Hals über Kopf verlieben, eine der schönsten Couchsurfing-Erfahrungen meines Lebens machen und noch einiges mehr über mich lernen sollte.
Wie meine Reise weiterging, kannst du bald im zweiten Teil lesen!
Alles Liebe bis dahin,
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WIR unter 30 - Interview mit Spirit of Traveling - fem-up.de
2. Dezember 2020 at 20:39[…] konntest du ja schon einen Einblick bekommen. Wenn du dich für mehr interessierst, kannst du dir hier den ersten Teil der Frankreichreise und hier den zweiten Teil der Frankreichreise durchlesen. Und hier findest du auch ein tolles Video […]